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Henriette in Kambodscha

Mein Jahr im Ausland

Monat

April 2016

Meine Insel

Seit gefühlten Wochen bin ich ständig unterwegs, lebe aus meinem Rucksack, schlafe in fremden Betten, esse in Restaurants und reise durch Kambodscha. Nun liege ich das erste Mal wieder entspannt mit einem Buch in meinem Bett und lasse die Sonne durch die Tür herein scheinen. Gut es sind auch wieder nur zwei Tage, die ich daheim verbringe und mein Rucksack steht auch schon wieder halb gepackt neben mir, aber immerhin zwei Tage habe ich um mich in all dem Chaos, Planungen, Urlaub, Besuchen, Alltag und dem Wahnsinn auf meine Insel zurück zu ziehen, meine Oase, meinen Fluchtpunkt. Zum ersten Mal seit langer Zeit komme ich wieder zur Ruhe und fühle mich auf diesem harten Bett so sicher wie noch nie. Ich genieße diesen sehr kurzen Moment, denn schon morgen geht es wieder los mit dem Rucksack durch Kambodscha. Für drei Wochen lasse ich mich mit dem Wasser treiben und verlasse mein so sicheres Nest. Urlaub, Abenteuer, Entdeckungen sind wunderbar, aber es ist genauso wunderbar immer wieder auf seine sichere Insel, in sein Bett zurück kommen zu können.

Zurück in die Vergangenheit

Lachend sitze ich mit Sherin und Olivia im Kaffee. Wir reden über die Schule, Liebe, Jungs, Klamotten, Politik und die Zukunft. Ein normales Treffen mit seinen Freundinnen aus der Schulzeit. Und doch ist dieser Moment für mich etwas ganz besonderes. Wir drei sitzen nicht in einem Kaffee daheim, sondern hier in Phnom Penh bei 40 Grad im Schatten und trinken Lime Juice und essen verboten leckeres Eis. Die beiden besuchen mich für ein Wochenende und dieses Wochenende ist wie eine wunderbare Reise, ein kurzer Traum in die Vergangenheit.

Wir schwelgen in Erinnerungen an unsere Freunde, gemeinsame Erlebnisse und Momente aus dem Schulalltag. Ich fühle mich, als hätten wir erst gestern unsere Abitur bestanden und uns nicht 7 lange Monate nicht gesehen. Es ist ein schönes Gefühl von Menschen umgeben zu sein, die einen kennen, vielleicht sogar besser als einem lieb ist, die deine Macken und Ticks schon kennen, denen du nichts erklären musst, die verstehen und zuhören und dass Eis für dich bestellen können, weil sie deine Lieblingsorten kennen. Das Gefühl, dass dein Gegenüber dich schon so gut kennt und jede deiner Bewegungen ihm vertraut ist, ist nach 7 langen Monaten des gegenseitigen Kennenlernens wunderbar und heilsam für das Herz. Es beruhigt einen und lässt einen entspannen. Es ist schön, diese beiden blonden Teufel zwei Tage um mich zu haben und ich genieße den Ausflug in die Vergangenheit, in meine Vergangenheit, in meine Geschichte, in unsere Geschichte, denn er heilt das kleine Loch, dass wir Freiwilligen alle in unserem Herzen mit uns tragen – das Loch der Freunde, die uns besser kennen als wir uns selber und die wir zurück lassen mussten.

Grauen auf vier Rädern

Vom Norden machen Greta und ich uns frühmorgens auf den Weg nach Hause…irgendwann muss man schließlich auch wieder arbeiten. Doch hätte mir jemand gesagt wie diese Fahrt werde würden wäre ich freiwillig die 200 km gelaufen. Der Fahrer rast in einem Höllentempo über die kurvige Bergstraße, bremse und gas werden durch Zufall bedient. Wir sitzen eingezwengt in einem stickigen Bus, ich klammer mich krampfhaft an den Sitz vor mir um in den Kurven nicht auf den Gang des Minivan zu fliegen. Die vier Kleinkinder im Bus wechseln sich die ganze Fahrt über mit schreien und quengeln ab, der Mann vor mir telefoniert 6 Stunden lang schreiend mit seinem Gesprächspartner, ich schaffe es nicht einmal etwas zu essen, weil es mir nun echt flau im Magen ist, eine schwangere Frau stöhnt die ganze Zeit, das Kind neben mir beschmeißt mich mit Mangostückchen und dank der umsichtigen Fahrweise kotzt sich in diesem Bus jeder zweite die Seele aus dem Leib. Nach 6 nicht enden wollenden Stunden steige ich kreidebleich und mit wackligen Knien aus dem Bus. Die dreckige Luft in Phnom Penh erscheint mir nun als die frisch im Vergleich zu unserem Busgeruch und ich bin versucht vor lauter Dankbarkeit den Boden zu küssen. Diese Grauen auf vier Rädern werde ich in Deutschland definitiv nicht vermissen.

Die Welt von oben

Vor und zurück, vor und zurück und wieder vor und zurück, nein halt: nur vor und zwar weit nach vorne und batsch: Ast im Gesicht. Festhalten, einfach festhalten und nicht nach unten schauen. Ich sitze zusammen mit meiner Schwester auf einem Elefanten und lasse mich schwankend durch den Urwald tragen. Klar Elefanten sind groß, schon von unten, aber von hier oben geht es wirklich verdammt weit nach unten und bei jeder Bewegung schwankt der Korb so bedenklich und überhaupt habe ich das Gefühl, dass dieser süße Elefant ein wenig tollpatschig ist wie er da so durch den Urwald schlendert. Es ist ein komisches Gefühl, die Welt von so weit oben zu sehen, im schwankenden Rhythmus tiefhängenden Ästen auszuweichen und man beim ersten Abstieg zur Flussüberquerung bedenklich weit in seinem Sitz nach vorne rutscht. Doch nach den ersten Schrecksekunden ist es ein wunderbares Gefühl, ein Gefühl von Freiheit. Man fühlt sich leicht, geborgen auf dem sicheren Rücken des Elefanten. Man sieht die Welt ganz anderes von da oben und es ist aufregend dieses Erlebnis, dass mit keinem anderen Gefühl zu vergleichen ist. Irgendwann erkennt an auch, dass Elefanten ein unglaubliches Gefühl in ihren Beinen und eine beeindruckende Körperbeherrschung haben, jeder Schritt auf rutschigen Untergrund ist überlegt, sicher und zielstrebig.

Unsere Elefantenmädchen ist ein kleiner Spaßvogel und spritzt uns jedes mal nass, wenn ihr Rüssel nur in die Nähe von Wasser kommt. Ihr fröhliches quietschen und schnauben lässt mich jedes mal lachen.

So schwanken wir in einer kleinen Karawane durch Wälder, Wasser und Plantagen und erst kurz vor dem Ziel müssen wir feststellen, dass Elefanten echte Dickköpfe sind, als sich alle drei der mächtigen Tiere sich partout weigern einfach so durch die Cashewnussplantage zu wandern, sondern sie sich jetzt erst mal genüsslich eine Belohnung verdient haben. Und da stehen wir dann alle und nichts geht mehr vor und zurück. Man hört nur das friedliche Schnauben der Elefanten, den ein oder anderen glücklichen quieken und das genervte Gemurmel der Führer. Aber so sind sie die Dickhäuter und von so ein paar kleinen Wesen lassen sie sich erst recht nichts sagen. Erst bei der Aussicht auf Wasser lassen sich unsere drei großen Freunde zum weiter gehen überreden und beim gemeinsamen baden, nass spritzen und abschrubben versöhnen sich groß und klein wieder. Als Dankeschön für unsere Streicheleinheiten werden wir aus dem Wasser getragen und elegant am Ufer abgesetzt. Und nach einem letzten Blick in diese weichen, lieben Augen, einem letzten Rüssel streicheln und einem kleinen Klaps mit den Ohren verschwinden sie auch schon wieder zwischen den Büschen und wir sehen unsere Welt wieder aus der gleichen Perspektive wie vorher. Sie erscheint auf einmal viel langweiliger.

Meine persönliche Droge

Mein Herz rast. Es scheint mir aus meiner Brust springen zu wollen, ich schwitze und ich kann nicht aufhören zu lachen. Irgendwie ist mir auch ein bisschen schummrig und das Klopfen meines Herzens dröhnt mir in den Ohren. Vor ungefähr einer halben Stunde habe ich meine ganz persönliche Droge gefunden: Kaffee.

Zusammen mit meiner Familie habe ich eine Kaffeeplantage im Norden Kambodschas besichtigt und zum ersten Mal in meinem Leben ein ganzes Glas Eiskaffee getrunken. Eigentlich schmeckt mir der ja nicht, aber wenn ich nun mal die Gelegenheit habe den frisch gepflückten Kaffee zu probieren, dann sollte ich mir das nicht entgehen lassen.

Das Ergebnis dieses Experiments ist bedenklich: kichernd und lachend sitzen jetzt drei Mädels hinten im Auto und vor allem ich bin richtig weg vom Fenster. Da der Kaffee auch noch eine besonders starke Röstung ist fangen meine Hände auch noch an zu zittern und ich hüpfe die ganze Zeit auf meine Sitz auf und ab, als hätte ich Hummeln im Hintern.

Den ganze restlichen Nachmittag bin ich ein einziger Flummiball, der allen tierisch auf die Nerven geht und im Umkreis von 5 km alle prächtig unterhält.

Sogar Abends im Bett lässt die Wirkung noch nicht merklich nach und lange wälze ich ich herum, hüpfe auf uns ab und lausche dem Galopp meines Herzens.

Für mich eine äußerst interessante Erfahrung mit den leichten Drogen, doch zum Schutz für mich und meine Umwelt werde ich wohl in Zukunft die Finger von Kaffee lassen.

Neue Seiten Kambodschas

Seit ich mit meinen Eltern und unserem deutschsprachigem Reiseführer in Kambodscha unterwegs bin, fühle ich mich wieder in die Schule zurück versetzt. Da sitze ich in meinen Autositz und fühle mich wie ein kleines Schulkind, dass staunend dem Lehrer lauscht. Seit 7 Monaten lebe ich in diesem Land und irgendwie weiß ich alles und doch auch nichts. So viel neues erfahre ich oder werde darauf aufmerksam gemacht und schon ist man nicht mehr erwachsen, sondern immer noch das Kind, dass noch viel lernen muss. Ich finde heraus wie Kaffee wächst und Avocados, aus was Kautschuk gemacht wird und wie er angebaut wird. Lerne, dass Kissen hier mit Kappok gefüllt werden und dass die kappokbäume aussehen wie kleine beschneite Bäumchen inmitten all dem grün. Esse Taranteln, Seidenraupen, Heuschrecken, Grashüpfer und süßen Reiskuchen, sehe einen Mehlfruchtbaum und finde heraus, dass es rote Bananen gibt, esse in versteckten Restaurants kambodschanisches Wildschwein, kann nun Durian und Jackfruit unterscheiden. Stehe am Ende der Welt in einem Meer von Lotusblüten und weiß nun, dass man die jungen Blumen als snack essen kann. Fahre über wacklige Bambusbrücken mit einem wunderschönen Sonnenuntergang. Finde heraus wie Maracujas und Cashewnüsse wachsen, wie mühsam deren aufsammeln ist und warum diese winzigen Nüsse bei uns so teuer sind und weiß nun endlich was Betelnüsse sind und wofür man sie braucht. Wir besuchen eine kleine lokale Seidenweberei und muss feststellen wie viel Arbeit in einem Schal steckt.

Die Tage mit meinen Eltern sind wie eine einzige lange und erstaunlich spannende Unterrichtsstunde. Niemand zwingt einen zu lernen, sondern man darf. Hier draußen in der freien Natur, wo man alles vor Augen hat, anfassen und probieren darf und vor lauter Fragen gar nicht weiß wo man anfangen soll, da macht das Schüler sein auf einmal wieder spaß.

In so wenigen Tagen habe ich noch nie so viel gelernt und auch noch nie so viel freiwillig gelernt. Als ich im Bus nach Hause sitze habe ich das Gefühl mein Land noch besser zu kennen, ein Stück mehr zu ihm zu gehören und bin umso stolzer auf mein Land in dem es so viel zu lernen und entdecken gibt.

Familie

Es ist ein Frühstück wie jedes andere. Meine Mama, wie immer, schon hellwach und lebendig redet und erzählt ohne Unterlass. Meine Schwester sitzt blass auf ihrem Stuhl, stochert in ihrem Essen herum und schweigt wie ein Grab und mein Papa starrt versonnen in die Kaffeetasse und ist noch in seiner eigenen kleinen Welt. Unweigerlich endet das Frühstück in der Diskussion, ob meine Schwester nicht wenigstens ein Glas Orangensaft trinken will und ob die Pläne den heutigen Tag betreffend nicht ein bisschen viel des Guten sind. Es ist ein normales Frühstück, die Bewegungen und Abläufe vertraut und trotzdem sitze ich an diesem Samstagmorgen staunend am Tisch und beobachte fasziniert das Geschehen. Es erscheint so unwirklich, dass wir 4 nun wieder gemeinsam frühstücken, als sei es das normalste von der Welt. Das Bild, dass sich mir mit diesen drei Menschen im Frühstücksraum eines Hotels in Phnom Penh bietet ist so unwirklich für mich, dass ich mich heimlich unter dem Tisch in das Bein kneife. Aber es stimmt wirklich: meine Familie ist endlich da und ich kann mit ihnen reden und lachen wann immer ich will. Keine Kontinente, Meere und keine Zeitverschiebung hindern mich mehr daran, kein Bildschirm trennt uns, sondern nur dieser kleine Holztisch. Es ist toll wieder einmal mit seiner Familie so etwas banales, wie frühstücken zu können. Hätte mir jemand in der Hochphase meiner Pubertät prophezeit, dass ich beim Wochenendfrühstück mit meiner Familie in einigen Jahren der glücklichste Mensch auf Erden bin hätte ich ihn schallend ausgelacht.

Augentag

A, G, H, B…..Augenkneifen, unruhiges rutschen auf dem Stuhl, zugeflüsterte Buchstaben, nach vorne beugen. H, B, T……wieder stocken. Es hilft wohl alles nichts, da muss wohl eine Brille her.

Heute ist an unsere Schule Augentag. Mein Papa hat sein Equipment aus seinem Optikgeschäft dabei und deswegen wuseln jetzt in und um das Office herum scharenweise Kinder, die durch die Fenster herein starren, um die Ecke blinzeln oder die ganz Mutigen sich in das Office wagen. Alle wollen ihre Augen gescheckt bekommen, alle die Weißen sehen und die komischen Geräte, die sie dabei haben. Jeder will sein Belohnungsgummibärchen und sich mit Brille im Spiegel betrachten. Den ganzen Freitag geht das so. Kind auf den Stuhl, Kind die kleiner werdenden Buchstaben vorlesen lassen, Namen aufschreiben und auf der Liste abhacken, Belohnungsgummibärchen und den nächsten herein rufen. Bei stocken und Augen kneifen einmal ab zum Papa und messen lassen.

So laufen an diesem heißen Tag 160 Paar kleiner schmutziger Füße über den sauberen Boden des Offices. Es wird ganz viel gestaunt und interessiert über die Schulter von meinem Papa geschaut, gelacht beim Anblick der Freunde mit Brille und sich ängstlich an teacher Henni gekuschelt, wenn man nicht so Recht weiß, was da vor sich geht. Am Ende des Tages ist der Boden übersät von Gummibärchenverpackungen, ich will nie wieder das ABC hören und wir haben 15 Kindern und Erwachsenen einen Durchblick im Leben verschafft. Alle bekommen von meinem Papa eine schicke neue Brille oder auch Sonnenbrille mit der sie ab sofort durchs Leben gehen dürfen oder auch müssen. Denn der ein oder andere war doch tatsächlich blind wie ein Maulwurf und ist Moto gefahren oder hatte große Probleme beim lesen. Nun werde ich in Zukunft die ein oder andere kleine Brillenschlange in meiner Klasse sitzen haben und mich darüber freuen können, wenn das lesen nun endlich wieder fehlerfrei klappt.

An dieser Stelle bedanke ich mich auch noch einmal ganz doll bei dem besten Papa der Welt für seine Hilfe, seine Zeit und seine Idee. Danke, dass du an meine Kinder gedacht hast !!!

Widersehen

Die Hitze flimmert auf dem Asphalt, es ist heiß, der Staub und der Dreck der Straße wird mir ins Gesicht geblasen, Motos kurven um mich herum, die sonne brennt mir auf den Kopf und selbst mit Sonnenrille kann ich nicht genau erkennen, wer und was da alles nach Salalek rein fährt. Ich stehe am Ortseingang und warte auf meine Familie. Dank der äußerst genauen Beschreibung meines Vaters: Wir fahren in einem weißen Van, stehe ich seit 10 Minuten verloren in dem Verkehrsgetümmel und jedes zweite Auto könnte das mit meinen Eltern sein, denn jedes zweite blöde Auto hier ist ein weißer Van. Dauernd will mich einer mitnehmen, ich werde gefragt, ob es mir gut geht und ob ich Hilfe brauche, werde fast von einem Moto umgefahren und ein LKW versperrt mir die Sicht. Bei jedem vorbeirasendem Van versuche ich panisch zu erkennen ob drei Weiße darin sitzen und werde immer wieder enttäuscht. Als erneut in meinem Sichtfeld ein weißer Van auftaucht bin ich damit beschäftigt einer Kinderhorde auf Fahrrädern auszuweichen und erkenne daher erst im letzten Moment, das das Gesicht da am Fenster, das meines Papas ist. Auch er sieht mich zu spät und schwupps ist der Van an mir vorbei gedüst. Da stehe ich dann in einer Staubwolke und wundere mich über den doch äußerst kurzen Besuch meiner Eltern. Bis ich mich dann aus dem Fahrrädergewirr gezwängt habe, hat auch der Van gewendet und dann endlich, endlich öffnet sich die Schiebetüren und ich falle meiner Familie in die Arme.

 

 

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